Die Klavierstücke op. 116 bis 119 sind für jeden ernsthaften Pianisten eine absolute Herausforderung. Komponiert wurden diese musikalischen Miniaturen in der Spätphase von Brahms ́ Schaffensperiode zwischen 1892 und 1893. In diesen Jahren lebte Johannes Brahms während der Sommermonate in Bad Ischl, wo auch Franz Lehár 20 Jahre später in seiner Villa Operetten-Melodien komponieren sollte. Daher ist es eher ungewöhnlich, dass sich ein noch recht junger Klavierspieler ausgerechnet einen „reifen“ Brahms für sein Solo-Debüt aussucht. Doch schon bei den ersten Takten der 7 Fantasien op. 116 lässt sich dieses Vorhaben als äußerst gelungen bezeichnen. Temperamentvoll und energisch erklingt Kayas Einstieg in das Capriccio. Dann ein wunderbarer Übergang in das Intermezzo der 2. Fantasie. Ein Wechselbad der Gefühle, welches sich bis zum allegro agitato des Capriccios der 7. Fantasie nahtlos durchzieht.
Brahms selbst hat die nachfolgenden 3 Intermezzi op. 117 als die „Wiegenlieder meiner Schmerzen“ bezeichnet. Das Statement eines Komponisten im Herbst seines Lebens. Doch trotzdem sind diese Klavierstücke keinesfalls sentimental gehalten, ganz im Gegenteil. Sie kratzen lediglich edel an der Oberfläche, zwar traurig aber ohne Resignation und stets die Contenance wahrend. Brahms duldet nicht, dass der Hörer zu tief Einblick in seine Seele nehmen kann. Und trotzdem berührt er wie selten zuvor in seinen Werken. In genau diesem Tenor hat auch Yunus Kaya die Intermezzi spieltechnisch eingefangen.
Die absolute Bravourleistung gelingt Kaya jedoch mit den 6 Klavierstücken op. 118. Besonders das zweite dieser Klavierminiaturen dürfte Fans der Krimi-Serie „Jesse Stone“ noch in den Ohren klingen. Tom Selleck zog sich mit dieser Perle der Klaviermusik und einem Glas Whisky in der Hand nach anstrengenden Ermittlungen ins Privatleben zurück. Yunus Kaya baut mit diesen Klavierstücken eine sehr intime Atmosphäre zum Hörer auf. Tiefgründig und emotional, aber zu keinem Zeitpunkt trivial oder plakativ.
Yunus Kaya – intensive Auseinandersetzung
So wunderschön auch die Melodieführung der Stücke gehalten ist, so komplex ist deren Aufbau. Nur einem einfühlsamen Pianisten kann es, ähnlich wie bei Schumanns ́“Kinderszenen“ gelingen, die doppeldeutigen und ambivalenten Harmonien, die teils bitteren und teils süßen Tongedichte in leuchtenden Farben anschaulich darzustellen. Yunus Kaya ist dies mit großem Einfühlungsvermögen gelungen. Seinem Spiel ist anzumerken, dass er sich intensiv mit Brahms auseinandergesetzt hat und mit Hingabe zum Werk. Eine bemerkenswerte erste Solo-CD, die Lust auf mehr macht.
Die Tonqualität der CD ist im wahrsten Sinne des Wortes als perfekt zu bezeichnen. Der Steinway-Flügel klingt warm und vollmundig. Lieben Sie Brahms? Dann sollte dieser Silberling demnächst in ihrem Plattenschrank heimisch werden.