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Einfach Klassik.

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Festspiele Mecklenburg-Vorpommern mit Adventskonzerten

Ein Gastbeitrag von Ekkehard Ochs

Der jährliche Veranstaltungskalender der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern verzeichnet nicht nur die meist rund 120 Konzerte der jeweiligen Sommersaison zwischen Mitte Juni und Mitte September. Seit längerem gibt es außerdem im März einen „Festspielfrühling“ auf Rügen und einen „Festspielwinter“, der in der Adventszeit drei oder vier vorweihnachtliche Konzertwochenenden bietet und – bislang jedenfalls – mit einem „Neujahrskonzert“ im Januar endet. Unschwer vorstellbar, über welches künstlerische Potenzial ein Veranstalter verfügen muss, um dabei an jeweils 60 bis 70 Spielorten, also landesweit, jene Programmvielfalt anbieten zu können, die – in Verbindung mit generell außergewöhnlich hohen künstlerischen Standards – die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern seit jeher auszeichnen und ihre unverschlissen hohe Anziehungskraft garantieren. 

Aris Streichquartett, Foto © FMV
Aris Streichquartett, Foto © FMV

Im nun zu Ende gehenden Jahr ist man bei den Adventskonzerten angelangt, deren erstes vom Wochenende 1. bis 3. Dezember hier kurz betrachtet werden soll. Auftrittsorte waren mit dem Eröffnungskonzert das Gut Stolpe an der Peene nahe dem pommerschen Anklam (Freitag) und Schloss Ulrichshusen, gelegen zwischen Teterow und Waren im Mecklenburgischen mit fünf Konzerten am Wochenende. Drei Tage, sechs Konzerte und – jeder Superlativ wäre berechtigt – ebenso viele musikalische Glanzpunkte. Zu danken waren sie dem Aris-Quartett, dem Cellisten Eckart Runge sowie dem Jazz-Pianisten und Komponisten Omer Klein. Das Konzept rankte sich um das sehr naheliegende Thema „Unser Advent“, was hinsichtlich der verfügbaren Besetzung und der Einbeziehung angemessenen Repertoires zu aufgelockerten Programmen führte. So passten – und hier seien die Eindrücke veranstaltungsübergreifend zusammengefasst – Bach´sche Advents- und Weihnachtschoräle im vierstimmigen Streichersatz, die ohnehin instrumentalen ersten vier Contrapuncti aus dessen „Die Kunst der Fuge“ oder im Wechsel von Violine und Viola beziehungsweise Violine und Violoncello präsentierte zweistimmige Inventionen (BWV 772-786)  des Meisters bestens zu einem außen so winterlich verschneiten wie im Ulrichshusener Schloßsaal gemütlich adventlich gestalteten Ambiente. Umso mehr, als das Aris-Quartett auch mit solchen eher stimmungsverbreitenden Programmteilen die ganz außerordentliche Exzellenz ihres Musizierens spüren ließ. Doch damit des direkt Weihnachtlichen nicht genug. So war – nicht risikolos – gemeinsames Singen aller Besucher ebenfalls angesagt. Und damit fast eine (von vielen sicher nicht erwartete, aber wacker mitgetragene) Mini-Chorprobe (Lukas Sieber!) mit Einsingen und stimmbildenden Komponenten, was dann immerhin zum passabel gelungenen vierstimmigen Praetorius-Satz von „Es ist ein Ros`entsprungen“ reichte. In anderem Zusammenhang durften es dann (ohne Probe!) ein kleiner vierteiliger Zyklus von Weihnachtsliedern sein; in beiden Fällen mit Streicherunterstützung und unter stabilisierender vokaler Mitwirkung eines Soloquartetts des Landesjugendchores MV.  

Omer Klein, Foto © FMV
Omer Klein, Foto © FMV

Weihnachtliches aber auch von ganz anderer Seite und mit gravierend anderer Stilistik: „Jazzy Christmas“ nämlich. Wollte heißen: Klavier-Improvisationen über amerikanische Christmas-Songs. Am Flügel der israelische (Jazz)Pianist und Komponist Omer Klein, der bereits am Samstag (noch unweihnachtlich und gemeinsam mit dem Aris-Quartett) u. a. eigene Kompositionen präsentierte und am anderen Tag in einer Sonntags-Matinee besagte Weihnachtslied-Improvisationen vortrug. In beiden Fällen bot Klein das, was ihm als international geschätztem und überaus produktivem Künstler vorausging: der Ruf eines so phantasievollen wie brillant musizierenden Musikers, dem für seine höchst innovative Tätigkeit am Instrument alle denkbar notwendigen spieltechnischen wie intellektuellen Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Unverkennbar der Einfluss mitteleuropäischer Traditionen und natürlich auch die einer engen Verwurzelung in jüdischem Empfinden; von der Prägung durch den amerikanischen Jazz ganz zu schweigen. In der Verbindung mit dem Streichquartett gelangen da in Klein-Originalen wie Arrangements (Shorter, Becket) spannende Stil- und Klangsynthesen: oft kammermusikalisch transparent, aber auch voluminös und konzertant ausgreifend, mal dezidiert jazzig und nicht selten wie ein (fast) romantisches Klavierquintett wirkend, weitschweifig und klangintensiv, geradezu mächtig melodisch oder zart softig.  Permanente Ausdruckswechsel – häufigere, dann deutlicher jazzige Soloepisoden des Klaviers inbegriffen – und viel musikantische Bewegtheit garantierten eine nie nachlassende Aufmerksamkeit. 

Das galt in gleicher Weise für die weihnachtlichen Improvisationen. Ihre Originale konnten zwar kaum nachvollzogen werden, aber auch ohne solchen auditiven (auch gedanklichen) „Halt“ konnte Klein erneut mit nun ungebremsten, weil solistischen Improvisationen fesseln. Auch hier die ganze Breite eines unerschöpflich scheinenden Reservoirs an musikalischen Einfällen (Motive, Themen), die mit offensichtlicher Mühelosigkeit zu einen waren. Und ein Musizierstil, der mit einer gewaltigen Breite zwischen polyphoner Linearität, schlichtem mehrstimmigen Satz, einschmeichelnder Wohlfühlmelodik und -harmonik, verspielter Virtuosität, rhythmischer Prägnanz und faszinierender Motorik beeindruckte. Von der Rasanz stringenter Musizierlust ganz zu schweigen. 

Aris Streichquartett, Foto © Oliver Borchert
Aris Streichquartett, Foto © Oliver Borchert

Bleibt das künstlerische wie gestalterische Zentrum dieser sechs Konzerte der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern: das Aris-Streichquartett in der Besetzung Anna Katharina Wildermuth, Noémi Zipperling, Caspar Vinzens und Lukas Sieber. Unmöglich, von den Auftritten dieses Ensembles nicht hellauf begeistert zu sein! Und das vom ersten Ton an, ganz egal, ob Werke eines Bach, Beethoven oder Schubert, einer Fanny Hensel, Felix Mendelssohn Bartholdys, Erwin Schulhoffs oder György Ligetis auf dem Programm standen. Und geschuldet der Tatsache, dass man es ohne jeden äußerlichen Aktionismus verstand, die den Ausführenden wie den Werken eigenen unglaublichen Energien in ein spannungsvoll gebändigtes und geradezu bestürzend detailbesessenes Musizieren umzusetzen. Jeder Einzelton, jede Phrase, jede Melodie gerät zum Ereignis, die Harmonik – nicht nur bei Schubert – wächst zur schon mehrdimensional wirkenden Klangwelt, und Metrik wie Rhythmik sind mitreißende Impulsgeber von atemlos machender Stringenz. Wenn im Programmheft von einer „unverwechselbaren Klangsprache“ die Rede ist, dann scheint das nicht Lob genug. Denn es fehlt das  (unsichtbare, aber bezwingend vorhandene) gedankliche Engagement der Musiker*innen, mehr aber noch das (sichtbare) ganzkörperliche Durchleben eines Werkes und damit die Charakteristik eines Musizierstils von unerhörter Differenziertheit und Glaubwürdigkeit! Musik als geradezu existenziell wichtige Mitteilung zum Sprechen gebracht! Ein Musizieren, bei dem die sprichwörtliche atemlose Stille herrscht. Man könnte auch von Lehrstunden vorbildhaften Streichquartettspiels sprechen, vom Vorzug, ein Werk in allen seinen Details erkennen und es in jeder Facette verlebendigen zu können. Eindrucksvoller und wirkungsmächtiger lässt sich wohl kaum musizieren! 

Und das bezog sich auf alle Kompositionen, so unterschiedlich sie auch waren. Beginnend in Stolpe mit Mendelssohns glücklichem Wurf des so kantablen wie energisch bis verspielt sprudelnden Es-Dur-Quartetts op. 12 und Beethovens op. 132 (a-Moll-Quartett) als einem der gedankenreichsten und gestalterisch anspruchsvollsten Werke seiner Spätzeit. In Ulrichshusen ging es dann weiter mit dem Es-Dur Quartett Fanny Hensels, der Schwester Felix Mendelssohn Bartholdys. Und das mit einem erst spät entdeckten, unbedingt lohnenden Werk mit garantiertem AHA-Effekt. Danach zu Erwin Schulhoffs einfallsreichen, musikantisch mitreißenden und musiksprachlich höchst originell wichtige Zeitströmungen der frühen Zwanziger einbeziehenden  „Fünf Stücken für Streichquartett“ (1923). Nichts weniger denn grandios geriet die Aufführung von György Ligetis noch im sozialistischen Ungarn (für die Schublade) geschriebenes 1. Streichquartett („Métamorphoses nocturnes“, 1953/54). Einsätzig, von  20 Minuten Dauer und in bewusster Bartok-Tradition „weder tonal noch radikal atonal“ (Ligeti), besitzt das Werk alle Merkmale stärkster, moderner Ausdruckskunst. Ein buchstäblich mitreißendes Erlebnis! Und dann Schubert: himmlische Klänge, himmlische Längen mit dem a-Moll-Quartett (op. 29 D 804 „Rosamunde“) und dem Streichquintett C-Dur (op. posth. 163 D 956) – hier mit dem Ausnahme-Musiker Eckart Runge als 2. Cellisten. Da war dann nur noch Bewunderung für eine schon mal fassungslos machende Musik bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, die keinerlei beschreibendes Wort mehr braucht Und für eine Darbietung von geradezu schmerzlicher Eindringlichkeit und stärkster Nachhaltigkeit.     

Titelfoto © FMV

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