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Einfach Klassik.

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Hochkarätige Kammermusik und faszinierende Interpret*innen

Ein Gastbeitrag von Ekkehard Ochs

Höchste künstlerische Standards – alternativlos: Noch in den letzten Tagen des diesjährigen Usedomer Musikfestivals hat der Veranstalter nicht an hochkarätigen Kammermusikveranstaltungen gespart. Sie werden mit ihren jeweils signifikanten Qualitätsmerkmalen wohl länger im Gedächtnis derer bleiben, die am 3. Oktober in  Heringsdorfs Evangelischer Kirche dem RIX Piano Quartet aus Riga lauschten, sich einen Tag später von den Cellokünsten von Magdalene Ceple – ebenfalls in Riga geboren – bezaubern ließen (Stolpe, Evangelische Kirche) und am 5. Oktober in der Evangelischen Kirche zu Benz über den lettischen „Klavierlöwen“ Georgijs Osokins staunten. Drei Abende, drei verschiedene Besetzungen, drei spezifische Kammermusik-Programme: ein kleiner Kosmos an diversen Beispielen für sehr unterschiedliche musikalische Sprachen, nationale Idiome und künstlerische Absichten; von den vielfältigen Möglichkeiten interpretatorischen Herangehens ganz zu schweigen.   

Das RIX-Quartet sei hier – da schon anderen Ortes Gegenstand der Erörterung – nur kurz erwähnt: Von besonderem Interesse waren Klavierquartette zweier lettischer Komponisten: Selga Mence (*1953), eine komponierende Frau, und Tālivaldis Ķeņinš (1919-2008). Beides Beispiele der für baltische Komponisten wohl insgesamt charakteristischen Verbindung von heimischen Traditionen und Spieltechniken neuer Musik. Erstgenanntes Quartett, 2015 entstanden, mit deutlichem Bezug zur Moderne, Letzteres (1958) mit eher traditionelleren Bezügen. Beide aber einfallsreich, musikalisch und musikantisch fesselnd. Und dies war zusammen mit einem Brahms-Quartett (c-Moll op. 60) einem Ensemble zu danken, das mit tollem Ton, fantastischem Zusammenspiel und gestalterisch hochexpressiver Wirkmächtigkeit beim Publikum wahre Begeisterung auslöste. Ein Abend für Feinschmecker!

Georgijs Osokins, Foto © Geert Maciejewski
Georgijs Osokins, Foto © Geert Maciejewski

Das galt auch für das Konzert in Stolpe. Da geriet der Cello-Abend Magdalene Ceples in Stolpes kleiner, fast wohnlich zu nennender Kirche zur eindrucksvollen Demonstration feinster Streicherkunst. Und Überraschung: Sie musizierte Kammermusik auf zwei verschiedenen Instrumenten. So koppelte sie im ersten Teil diverse Capricci aus einer Sammlung des seinerzeit berühmten Cellisten Joseph Dall´Abaco (1710-1805) mit ebenso vielen Kurzstücken aus György Kurtágs 1973 begonnener und bis heute kontinuierlich fortgeführter Sammlung „Jelek, játékok és üzenetek“), also „Zeichen, Spiele, Botschaften“. Und dies in ständigem Wechsel – und auf einem Barock-Cello! Eine gute Entscheidung, denn der verhalten-intime Klang des Instruments sowie die spieltechnisch wie tonlich souverän gehandhabte historisch informierte barocke Aufführungspraxis verhalfen dem Alten wie Modernen zu maximaler Wirkung. Was das Gegenteil von äußerem Aufwand oder besonderer Lautstärke bedeutete. Barocke Meisterschaft für den kleinen Raum und das Ohr des Kenners hier, hingetupfte, hingehauchte, oft nur wenige Töne nutzende „Zeichen“ und „Floskeln“ dort, nicht selten wie graphisch grazil hingeworfen – ein Genuss für aufmerksame Hörer*innen! Ceple kann aber auch anders, ganz anders und mit anderem, modernen Instrument. Zusammen mit dem hervorragenden Pianisten Yannick Rafalimanana gab es Jānis Ivanovs „Poema capricciosa“ (1963), groß in der melodischen Geste, dynamisch breit gefächert und dezidiert konzertant angelegt, sowie – eine Rarität – Frank Bridges Cellosonate d-Moll (1913/1917). Hier war alles drin, was eine große Sonate braucht: virtuos-dichter Klaviersatz, schwelgerisches Melos, energischer Klangrausch und hochemotionales Pulsieren, ausgeprägte Kontraste; Verve und mitreißende Stringenz sowieso. Ein Stück Kammermusik von faszinierender Musikalität und unwiderstehlichem Schwung. Und mit zwei Protagonisten in absoluter Hochform. Grandios! Da schien es nur selbstverständlich, dass die dem Usedomer Musikfestival seit langem verbundene Oscar und Vera Ritter-Stiftung (Hamburg) die lettische Cellistin mit ihrem jährlich zu vergebenden Preis auszeichnete. Gratulation!

Und weiter ging es im Gesamtprogramm mit dem wettbewerbserfahrenen und vielfach international preisgekrönten lettischen Pianisten Georgijs Osokins. Gidon Kremer hat ihn einmal „hochbegabt“ genannt, was man angesichts seines Klavierabends in der Kirche zu Benz (6. 9.) eigentlich als untertrieben bezeichnen möchte. Aber Kremer hat auch gesagt, Osokons habe eine „große Zukunft“ vor sich. Er scheint tatsächlich darin angekommen zu sein. Sein Spiel ist technisch bravourös, scheinbar unangestrengt und meidet jede Aufdringlichkeit. Der Anschlag im Wortsinne „beredt“, sein Agitato von bemerkenswerter Prägnanz und „Mitteilungsdichte“.  Er kann zarteste Empfindsamkeit vermitteln, betörende melodische Linien markant auch aus dem dichtesten Klanggewebe herausfiltern und geradezu bildhaft wirkende Visionen präsentieren. Andererseits ist er jener „Klavierlöwe“, der mit donnernden Akkord-Kaskaden und brachialer Virtuosität jedem Flügel auch noch die letzte klangliche Reserve abverlangen kann.

Georgijs Osokins, Foto © Geert Maciejewski
Georgijs Osokins, Foto © Geert Maciejewski

Solche spieltechnische und gestalterische Bandbreite präsentierte er dann auch mit seinem Programm. Das waren kleine, aber feine Stücke kompositorischer Kunstfertigkeit von Ādolfs Skulte (Arietta), Jānis Medinš (Daina Nr. 14), Pēteris Vasks (Weiße Landschaft), Mieczsslaw Weinberg (Kinderheft), Rachmaninow (u. a. Arrangierte Lieder) und Chopin (Mazurken op. 30/4), und 50/3). Aber eben auch riesige, wuchtige, den pianistischen Rahmen vielfach zu sprengen scheinende Klanggemälde von Ferrucio Busoni (Bachs Violin-Chaconne d-Moll fürs Klavier) und Franz Liszt (Fantasia quasi Sonata, Dante-Sonate). Hier konnte Osokins zeigen, was er drauf hat: nämlich alles! Gewiss, man muss die raffinierten, unglaublich voluminösen und klangdichten Arrangements (eigentlich Neukompositionen) eines Busoni mögen und wohl auch einen speziellen faible für Liszt´schen Klang-Gigantismus samt überbordender expressiver Wildheit haben, um hier auf seine Kosten zu kommen. Osokins hat dabei übrigens mitgeholfen, denn er kann pianistisch überzeugend „reden“ (vor allem bei Liszts Programmatik), sich verständlich machen, und auch der ausuferndsten Technik spezifisch Musikalisches abgewinnen; vorausgesetzt, die Zuhörenden machen die Anstrengungen mit. Dass sich solche lohnten, hat dieser kammermusikalische Abend gezeigt.    

Titelfoto: Yannick Rafalimanana, Magdalene Ceples, © Geert Maciejewski

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