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Einfach Klassik.

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Interview mit dem Belinfante Quartet

Pau Marquès i Oleo, Cellist des Belinfante Quartet und wohnhaft auf der Baleareninsel Menorca, spricht in einem Interview über das notwendige Verlassen ausgetretener Repertoire-Pfade. Die aktuelle CD „Parallel 40“ des Quartetts dokumentiert eine musikalische Reise entlang des 40. Breitengrades. Fazit: Ein interkultureller Austausch in der Musik ist dringend überfällig. Die neuen Musikstücke des Belinfante Quartet wirken hier wie ein Appell zum Aufbruch. Das Release-Konzert findet am 27. Juni um 19.30 Uhr im Klaviersalon Christophori in Berlin statt. Außerdem werden Olivia Scheepers (Violine), Fiona Robertson (Violine), Henrietta Hill (Viola) und Pau Marquès i Oleo (Cello) am 26. Juli live im ZDF morgenmagazin auftreten.

Was hat Sie angetrieben? Wo sehen Sie den Ansatzpunkt für dieses Projekt?

Einer der Gründe war, dass mir etwas gefehlt hat. Als Streichquartett und als klassisch ausgebildete Musiker spielen wir normalerweise hauptsächlich klassische Musik für unser Publikum, vor allem die etablierten und bekannten Komponisten. Das ist zwar schön und macht mir auch Spaß, aber ich wollte auch die Musik, die ich in meiner Familie gelernt und auf den Straßen meiner Heimatstadt gehört habe, mit dem Publikum teilen. Das war der Ansatzpunkt. Ich habe mir also überlegt, Volksmusik aus Menorca für Streichquartett zu arrangieren. Und vor allem wollte ich diese Musik endlich mit meinen Kollegen teilen. 

Sind Sie auch an einem kulturellen Austausch innerhalb des Quartetts interessiert?

Wir sind eine internationale Gruppe und haben uns während des Studiums in den Niederlanden kennengelernt. Wir proben auf Englisch und sprechen größtenteils auch Englisch. In erster Linie teilen wir die Sprache der Musik. 

Belinfante Quartet, Foto © Cosimo Beduini
Belinfante Quartet, Foto © Cosimo Beduini

Was hat Sie dazu bewogen, ein komplettes Programm mit neuen Stücken aus bisher „fremden“ Kulturen zu spielen?

Ich wollte einen Kontext für diese Musik finden, denn normalerweise spielt man solche „abenteuerlichen Stücke” nur als Zugabe, meist nach einem konventionellen Programm mit Mozart, Beethoven oder Brahms. Jetzt möchte ich „meine” Musik mit anderen Komponisten und Musiktraditionen verbinden. Das erinnerte mich an das Konzept der Breiten- und Längengrade, das mich als Kind in der Schule faszinierte. Damals erzählte uns ein Lehrer , dass Menorca genau auf dem 40. Breitengrad liegt. Dieser Gedanke faszinierte mich, und ich begann zu recherchieren, welche anderen Länder und Kulturen sich auf diesem Breitengrad befanden. Ich entdeckte viele verschiedene Länder mit unterschiedlichen Kulturen, von denen viele musikalische Traditionen haben, die ich bereits kannte. Dazu gehörten Komponisten aus Italien, Griechenland, Portugal und den USA. Doch es gab noch so viel mehr Länder, von denen ich keine Ahnung hatte! Ich hatte keine Vorstellung davon, welche Art von Musik in Ländern wie Aserbaidschan oder Turkmenistan gespielt wird. Aber dann haben wir gemeinsam nach Informationen gesucht und alle waren begeistert! So entwickelte sich die Idee immer weiter und weiter. 

Gab es eine Herausforderung bei dieser Recherche?

Es war oft schwierig, all diese Komponisten zu entdecken. Vor allem in Ländern wie Turkmenistan oder Aserbaidschan, die wir als Europäer nicht so gut kennen und in denen wir keinen Bezug zur Landessprache haben.

Das digitale Zeitalter hilft hier wahrscheinlich, oder?

Ja, natürlich, aber auch das war nicht immer einfach. Meistens sind wir zuerst auf Wikipedia gegangen, wo wir manchmal eine Liste der Komponisten des jeweiligen Landes gefunden haben und es oft mehr Informationen über die jeweilige Kulturmusik gab. Auch auf YouTube gibt es viel zu entdecken, wenn man gezielt sucht – wir haben dort zum Beispiel eine alte Aufnahme der Oper von Shegafir Akurdova gefunden. Das war wirklich eine große Überraschung. 

Habt ihr euch im Team gut ergänzt?

Klar. Olivia Scheepers, meine Kollegin und erste Geigerin im Quartett, war für Turkmenistan und Usbekistan zuständig, aber im Internet war kaum etwas darüber zu finden. Dann stieß sie auf die Dissertation eines Amerikaners über traditionelle Musik in Turkmenistan und auch über die Komponisten. Olivia schrieb eine E-Mail an die Autorin, und sie antwortete, dass ihr Vater am Konservatorium in Turkmenistan arbeitet und auch selbst Musik komponiert. Auf diese Weise konnten wir viel über die Musik in vielen Ländern erfahren, ohne jedes Mal die Sprache sprechen zu müssen oder dort gewesen zu sein. 

Das Stück Arirang auf der neuen CD stammt aus Nordkorea. Wie sind Sie darauf gekommen?

Wir standen ein wenig vor der Frage, was wir musikalisch aus einem Land vermitteln wollten, über das wir so wenig wissen. Henrietta Hill, unsere Bratschistin, stand in Kontakt mit einer Freundin aus Südkorea. Sie wies uns auf das Lied „Arirang“ hin, das ein Volkslied ist und mehr als 600 Jahre alt ist. Dieses Lied ist nicht spezifisch für Nordkorea, sondern symbolisiert die Einheit eines Landes, das seit über 70 Jahren geteilt ist. Sowohl Nordkorea als auch Südkorea betrachten das Lied „Arirang“ als ihr Erbe. Wir haben dann herausgefunden, dass dieses Lied von der UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt ist. Und dann haben wir angefangen, über diese Melodie zu improvisieren und etwas Eigenes zu machen. 

Belinfante Quartet, Foto © Cosimo Beduini
Belinfante Quartet, Foto © Cosimo Beduini

Haben Sie bei dieser Aufnahme oft traditionelle Stücke als Grundlage für Ihre eigenen Improvisationen verwendet? 

Die meisten Volksmusikstücke werden mündlich überliefert. Deshalb haben wir sie nicht als Kompositionen aufgeschrieben, sondern zunächst die Melodien gelernt und darüber improvisiert. Wir haben dann mehrere Aufnahmen gemacht und die ausgewählt, die uns am besten gefiel. Das ist bei Arirang auf unserem Album so. Und jedes Mal, wenn wir es spielen, ist es ganz anders.
Bei der Volksmusik von Menorca musste ich lernen, dass man eine Tradition gut kennen kann, aber dadurch auch voreingenommen sein kann. Die Musik, die ich kenne, wird von Gitarren, Lauten, Trommeln, Flöten oder einfach nur von der menschlichen Stimme gemacht. Sie in mehrstimmige Musik mit Streichinstrumenten zu verwandeln, war eine bewusstseinserweiternde Erfahrung.

Wie sind Sie dann weiter vorgegangen? 

Ich wollte bei der Arbeit keinen bestimmten Stil oder keine bestimmte Harmonie aufzwingen. Ich wollte nur das nutzen, was in den Melodien schon enthalten war. Damit wollte ich ihnen einen harmonischen und rhythmischen Kontext geben. Für mich sind sie so tiefgründig und kraftvoll, dass sie nur ein wenig „gewürzt“ werden mussten, um Streichquartettstücke zu werden. Ich setzte mich ans Klavier und ließ mich auf die Wiederentdeckung dieser Musik ein. Ich suchte nach passenden Intervallen und Rhythmen und fügte manchmal auch Geräusche hinzu, um die Umgebung zu symbolisieren. Der Morgennebel auf dem Meer, Möwen, die hoch fliegen, Wellen und Wind, Chorgesang der Zikaden, Schaukelstuhl, Menschenmenge kurz vor dem Stadtfest.

Belinfante Quartet, Foto © Cosimo Beduini
Belinfante Quartet, Foto © Cosimo Beduini

Diese CD-Aufnahme markiert einen neuen Aufbruch. Wie geht es jetzt weiter?

Wir glauben, dass wir am Anfang eines Prozesses stehen, in dem wir noch viel Neues erwarten können. Der nächste Schritt wäre, viele der Stücke, die wir gefunden und arrangiert haben, zu bearbeiten und als Notenausgaben zu veröffentlichen. Wir haben bei unseren Recherchen viel mehr Material gefunden als das, was auf der CD gelandet ist. Nehmen Sie zum Beispiel das griechische Stück in diesem Programm. Von diesen fünf Tänzen haben wir nur einen aufgenommen. Und wir haben auch noch viele weitere Stücke aus anderen Ländern. 


Haben sich daraus auch aktive Verbindungen zu den Ländern ergeben, die für eine künftige Zusammenarbeit geeignet sein könnten?

Wir wollen unser Projekt geografisch und künstlerisch erweitern. Wir möchten mit Botschaften und Agenten zusammenarbeiten. Unser Netzwerk ist bisher in Spanien, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und ein wenig in Italien, Frankreich und Deutschland. Wir wollen die Kulturen der Welt mit verschiedenen musikalischen Erfahrungen repräsentieren. 

Sie haben Ihr Quartett nach der Cellistin Frieda Belinfante benannt, die Sie auch auf Ihrer website zitieren. Das Hörerlebnis dieser neuen Stücke macht unmissverständlich klar, dass kollektive menschliche Emotionen auf der ganzen Welt miteinander sehr verwandt sind, wenn sie in Musik zum Ausdruck kommen – ungeachtet aller ideologischen und politischen Schranken. Was für ein globales Anliegen drückt Musik aus? 

Ich denke, man kann immer eine Verbindung zu grundlegenden menschlichen Gefühlen herstellen. Wir alle fühlen alle dasselbe in dieser Welt. Letztendlich weinen die Menschen in allen Teilen der Welt, haben Spaß, feiern und trauern. So etwas in Musik zu „zelebrieren“, ist die einzige Möglichkeit, sich verbunden zu fühlen. Verbindung schaffen ist für eine friedliche Gesellschaft unerlässlich.

Vielen Dank für dieses Gespräch!

Titelfoto @ Cosimo Beduini

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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