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Einfach Klassik.

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Interview mit dem französischen Sänger Alexandre Baldo

Der junge französische Sänger Alexandre Baldo ist ein Phänomen. Eigentlich als studierter Bratschist im Ensemble Mozaïque entdeckte er seine Leidenschaft für den Gesang und steht jetzt schon mit seiner charismatischen Bassstimme im Rampenlicht der aktuellen CD “Antonio Caldara – Arias for Bass”, die bislang unveröffentliches Material des Komponisten Antonio Caldara präsentiert. Das neue Album auf dem Label Pan Classics erhielt auf Anhieb höchste Bewertungen im renommierten französischen Musikmagazin Diapason. Was den leidenschaftlichen Sänger und Musikforscher antrieb, das verriet er im Gespräch mit Stefan Pieper.

Was gab die Initialzündung für eine Gesamtaufnahme mit Arien von Antonio Caldara? 

Der künstlerische Leiter der Aufnahme Gunar Letzbor und das Label wünschtensich, dass das gesamte Repertoire von einem einzigen Komponisten kommen soll. Da fiel meine Wahl sehr schnell auf Antonio Caldara. Ich hatte einige dieser Manuskripte schon in der Wiener Nationalbibliothek gesehen, außerdem wurde ich in der online-Datenbank IMSLP fündig. Das ist ja heutzutage unsere führende Partiturbibliothek. Je tiefer meine Recherche ging, umso mehr Musik kam zum Vorschein, die ich überhaupt noch nicht kannte. Und ja, dieses Repertoire war eine unglaubliche Entdeckung. Alles ist so wahnsinnig gut komponiert.

Es ist eine Erstaufnahme, richtig?

Antonio Caldaras Arien für Bass sind noch nie zuvor aufgenommen worden.Erstaunlicherweise ist die Vokalmusik Caldaras noch ziemlich unbekannt, obwohl es schon einige hervorragende Aufnahmen gibt, etwa Caldara in Viennavon Philippe Jaroussky. Es gibt noch viel zu tun, um Caldaras Musik einem grossen Publikum bekannt zu machen.

Was für neue Erkenntnisse förderte die Forschung zutage? 

Ich habe festgestellt, dass sämtliche Arien alle für einen einzigen bestimmten Sänger der Wiener Hofkapelle geschrieben worden sind, nämlich für Christoph Praun, der von 1696 bis 1772 lebte. Ihm habe ich dieses Programm gewidmet. 

Gab es noch andere Voraussetzungen für die Realisierung dieses Projektes? 



Mit unserem Ensemble Mozaïque hatten wir die Preise Fiori Musicali und Note 1 Music GmbH beim H. I. F. Biber-Wettbewerb in Österreich gewonnen. DieseAuszeichnungen ermöglichten uns, das aktuelle Programm für das Label Pan Classics aufzunehmen. 
Das Label war auf Anhieb begeistert von dieser Idee. Ich bin so glücklich, dass wir diese günstige Gelegenheit genutzt haben. Im Mai 2022 konnten wir das Album im wunderbaren Stift Sankt Florian in Österreich aufnehmen. An die Veröffentlichung der CD haben sich mittlerweile zahlreiche wunderbare Auftritte angeschlossen, etwa beim Festival de Saintes oder im Salle Cortot in Paris. Jetzt kümmern wir uns um weitere Aufführungstermine in Deutschland und Frankreich.



Was fasziniert Sie bei Antonio Caldara an Person und Werk?

Antonio Caldara war ein europäischer Musiker. In Venedig 1671 geboren, zog es ihn vor allem nach Rom, wo er länger geblieben ist. Dann kam er 1716 nach Wien an den Hof des Kaisers Karl VI. und wurde dort Vize-Kapellmeister. Er hat mit italienischen Sängern gearbeitet, vor allem auch mit den berühmten Kastratensängern wie Farinelli. Vom höfischen Leben ging eine starke Ausstrahlung aus. Es stand sehr viel Geld zur Verfügung. Im Rückblick erscheint es unfassbar, wie Karl VI. das Musikleben förderte und ausstattete. Er hat hier wirklich viel Geld investiert. Karl VI. war übrigens ein hervorragender Cembalist. Die Opernproduktionen dieser Zeit waren fantastisch und prachtvoll. Es wurden die besten Sänger engagiert und Antonio Caldara war mittendrin in dieser fantastischen Stimmung.

Alexandre Baldo
Alexandre Baldo, Foto © Emilie Brouchon

Würden Sie sagen, dass sich die höfische Pracht in diesen Kompositionen unmittelbar abbildet? 

Das alles spüre ich. Die Musik ist unfassbar gut komponiert, zugleich für die Stimmen extrem anspruchsvoll. Das lässt Rückschlüsse darüber zu, wie hervorragend die Sänger damals gewesen sein müssen. Vor allem Christoph Praun. 


Stammen die Arien, die Sie für diese CD ausgewählt haben, verschiedenen Werkzyklen? 



Ja, das tun sie. Die Arien stammen aus verschiedenen Opern, Oratorien und Serenaden. Mit diesem Programm wollte ich eine Vorstellung vom Umfang geben, wie viel Caldara produziert hat. Er hatte für jeden Geburtstag und Feiertag des Kaisers oder der Kaiserin eine Serenade, eine Oper oder eine Messe komponiert. Es sind allein zwei bis drei Opern/Serenaden pro Jahr entstanden plus zahlreicher Kantaten, Messen und Motetten. Ebenso hat er mit den besten Librettisten seiner Zeit zusammen gearbeitet: Metastasio und Zeno. Für mich zeigt dieses Programm, wie aufregend und hochspannend das künstlerische Leben am Hof war. Ich muss zugeben, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema zu einer echten Leidenschaft von mir geworden ist.



Worum geht es inhaltlich in den Texten?

Die Arien beziehen sich vor allem auf antike Dramen. Dabei ging es darum, den Ruhm des Kaisers zu widerspiegeln. Dafür war die antike Mythologie das bevorzugte Mittel. 



Wie sieht die stilgeschichtliche Einordnung der Musik aus? 



Die Arien repräsentieren Musik des 18. Jahrhunderts in Reinkultur. Einige seiner später komponierten Werke stehen an einer Schwelle zwischen dem späten Barock und der frühen Klassik. So manches deutet schon auf Carl Philipp Emanuel Bach und Johann Adolph Hasse hin. 

Erzählen Sie mir mehr über die Arbeit des Ensemble Mozaïque!


Es ist mir eine große Freude, mit diesem Ensemble zu arbeiten. Ich liebe vor allem die internationale Atmosphäre des Ensembles. Unsere Mitglieder kommen aus Frankreich, Italien, Österreich, England. Das Ensemble Mozaïque ist wirklich ein europäisches Mosaik, das menschlich und musikalisch sehr gut funktioniert. Wir machen vor allem italienische und deutsche Musik des 17. und 18. Jahrhunderts. Carl Philipp Emanuel Bach war hier schon ein großes Thema, ebenso Telemann, Corelli und auch Händel.

Sind Sie mit dem Ensemble Mozaïque auch auf Festivals, speziell für „Alte Musik“ präsent?


Ja, zum Beispiel auf dem Festival de Saintes, Festtage der alten Musik in Innsbruck, Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, Festtage Wahrenbrück und Fiori Musicali in Sankt Florian. Ich selbst kümmere mich bei der Vermarktung um Frankreich. Der Rest des Ensembles nimmt sich Deutschland, Österreich und Italien vor.

Sie waren ja ursprünglich Bratschist im Ensemble Mozaïque, haben sich dann aber auf den Gesang verlegt. 



Ich war zunächst Bratschist in diesem Ensemble, habe mich aber dann immer mehr mit Gesang beschäftigt. Mittlerweile habe ich mit Bratsche aufgehört, weil der Gesang zu meinem wichtigsten künstlerischen Anliegen geworden ist. Ich nehme schon seit zehn Jahren Gesangsunterricht und habe am Salzburger Mozarteum Gesang studiert. Seitdem bin ich schwerpunktmäßig Sänger. 

Das vorliegende, eindrucksvolle CD-Debut zeugt davon, dass sich alles rasant entwickelt hat bei Ihnen. Wie ist so etwas möglich?

Dass ich heute schon auf diesem Level bin, ist das Resultat von sehr viel Arbeit und Willenskraft. 



Prägt die Dualität zwischen Ihrer Rolle als studierter Sänger und Ihrer Erfahrung als Bratschist im Ensemble Mozaique das musikalische Denken bei einer Interpretation?



Ich bekomme gute Rückmeldungen von Orchestermitgliedern, die mir schon oft gesagt haben, dass ich einer der einzigen bin, der wirklich die Orchestermusiker richtig hört. Mir ist schon mehrfach eine hohe intonatorische Präzision attestiert worden. Das ist natürlich meiner Prägung durch das Streichinstrument zu verdanken. Das wichtigste beim Ensemble Mozaïque ist die gemeinsame Freude beim Musizieren. Erst daraus entsteht echte Achtsamkeit und Präzision. Wir sind ja alle gute Freunde miteinander.

Sie sind Franzose und haben lange Zeit in Österreich gelebt und sind jetzt nach Paris zurück gekehrt. Was für Erfahrungen haben Sie geprägt und wo möchten Sie noch hin?

Das Leben als Musiker in Österreich ist sehr angenehm und man erntet viel Respekt für diesen Beruf. Das bekommt man in Frankreich und Italien in dem Maße nicht. Deutschland und Österreich sind einfach Musikländer. So etwas ist immer spürbar. Trotzdem wollte ich zurück nach Paris, nicht zuletzt, weil es eine noch viel größere Stadt und eine internationale Drehscheibe in jede Richtung ist. Auch ist die Musikszene dort einfach riesig. 



Was kommt als nächstes? Wo möchten Sie noch hin? 

Alles entwickelte sich sehr schön für mich im Moment. Vor allem freue ich mich darauf, mir noch viel mehr neues Repertoire zu erschließen. Mein Terminkalender ist gut gefüllt mit Premieren in Frankreich und Österreich. Im Dezember 2023 singe ich die Partien der Esculapio und Plutone in l’Orfeo von Antonio Sartorio mit dem Ensemble Artaserse unter der Leitung von Philippe Jaroussky. Im Juni nächsten Jahres konzertiere ich mit dem Le Cercle de l`Harmonie in Israel. Es kommen Konzerte im Oktober 2024 im Brucknerhaus Linz mit dem Mozart Requiem mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment unter Leitung von Adam Fischer. Und es werden weitere Solo-Aufnahmen folgen – zum Beispiel Händels Israel in Egypt mit Le Concert Spirituel (Ltg. Hervé Niquet.)

Alexandre Baldo, vielen Dank für dieses Gespräch!

Titelfoto © Julia Wesely

Das Album

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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