Ein Beitrag von Christina v. Richthofen
Es ist die achte Ausgabe des kleinen, aber feinen Festivals „La Pedra Parla“ (dt. Der Stein spricht) im Kloster Santa Maria de Vallbona, und alle Stühle im romanischen Kreuzgang sind besetzt. Echte Fans aus der gesamten Region hat das Klassik-Festival, und das, obwohl das mittelalterliche Kloster eigentlich inmitten des Nichts liegt. Oder vielleicht gerade deswegen. Lleida, die nächstgelegene Groß- und gleichzeitig Provinzhauptstadt, liegt eine knappe Autostunde entfernt, Barcelona knappe zwei. Also sind es wohl eher die Menschen in den umliegenden Dörfern und Kleinstädten wie Tárrega und Igualada, die darauf gewartet haben, dass solche Musik in ihre Nähe kommt. Neben der besonderen Atmosphäre und der hohen Qualität der musikalischen Darbietungen hat das kleine Festival aber noch ein weiteres großes Plus: Mit einem Festival-Abo, das drei Konzerte, eine Übernachtung im Kloster und ein Menü im Hof umfasst, zielt es eben genau auch auf die ab, die von weiter her anreisen müssen. Und das tun sie. „Unsere Abos sind als erstes ausverkauft“, sagt Jordi Domenech, international gefeierter Countertenor und Künstlerischer Leiter von „La Pedra Parla“. Absolut zurecht ist er stolz auf den Erfolg des Festivals, das sich neben dem renommierten Festival Jordi Savall in der Region etablieren konnte. Stadtverwaltung und Klostergemeinschaft hatten das richtige Gespür für Bedarf und Nachfrage und haben mit Jordi Domenech den richtigen Mann an Bord geholt.
Am frühen Abend des 5. August 2023 stehen „Obres de joventut“ (Jugendwerke) auf dem Programm. Dafür hat sich ein Quartett formiert, das aus Ernest Martínez (Geige), Maite Abasolo (Bratsche), Daniel Claret (Cello) und Jesús Montalvo (Oboe) besteht. Drei Stücke für diese Besetzung füllen eine knappe Konzertstunde. „Für die im Kloster lebenden Zisterzienserinnen sind die Konzerte auf den Rhythmus der Stundengebete abgestimmt und dauern maximal 60 Minuten“, erzählt Domenech.
Die besagte Besetzung legt einen Teil der Werkauswahl nahe: neben Benjamin Brittens „Phantasy Quartet“ liegt auch Mozarts Oboenquartet auf den Pulten des Quartetts. Wie harmonisch sich die 1933 komponierten Klänge des erst 18-jährigen Britten in die historische Umgebung einfügen, ist beeindruckend. Konzentriert und leidenschaftlich stimmen die vier Musiker*innen das sommerlaunige Publikum auf einen ebenso meditativen wie energischen Abend ein. Jesús Montalvo, der von 2016 bis 2018 Stipendiat in der Orchesterakademie des Kölner Gürzenich Orchesters war, zeigt sein meisterhaftes Können. Auch bei Mozarts Oboenquartett überzeugen Montalvo und seine Quartettpartner*innen mit einer selbstbewussten und temperamentvollen Interpretation.
Was die Programmgestaltung des Konzertes außergewöhnlich macht, ist die Einbettung einer Neukomposition von Helena Cánovas Parés, deren Stück „Quant je voi revenir once again“ hier zur Uraufführung kommt. Eingebettet in die „Sinfonia Nr. 1“ und die „Sinfonia Nr. 4“ von Johann Sebastian Bach – hier arrangiert für Streichtrio – wirkt das Stück der jungen, in Köln und Barcelona arbeitenden Komponistin wie eine Symbiose. Kaum merklich gleitet das Ensemble von der barocken Tonalität in die Klangwelt des 21. Jahrhunderts über, in der die Oboe zur Andacht zu rufen scheint. „Quant je voi revenir once again“ ist ein melodisches Stück, dessen Inspiration Cánovas Parés in der Musik der französischen Troubairitz Maroie de Dregnau gefunden hat, die im Archiv des Klosters Vallbona Erwähnung findet. Sensibel angelehnt an den solistischen Charakter der Oboe in Mozarts Quartett, erzählt Cánovas Parés mit ihrem Stück eine fantasievolle Geschichte, die das Gestern mit dem Heute verbindet. Eine geniale Ergänzung zu den Jugendwerken von Britten und Mozart. Fazit: Barcelona-Besucher*innen im Sommer ist das Festival in Vallbona mit seinem hochwertigen Programm wärmstens zu empfehlen!