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Einfach Klassik.

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Salieri – eine ungehaltene Rede eines ungehaltenen Mannes

Ein Gastbeitrag von Matthias Kröner

Wer sich verteidigen muss, ist in der schlechtesten aller möglichen Positionen. Außerdem habe ich Hollywood gegen mich. 30 Millionen haben den Film gesehen – und niemand würde mir glauben, dass ich gar keinen Grund gehabt hätte, ihn auch nur anzufassen. Ich schrieb an die 40 Opern und wurde als der Nachfolger Glucks gefeiert: Von Neapel bis Moskau – bitte entschuldigen Sie meine Ehrlichkeit! – war ich einer der gefragtesten Komponisten in ganz Europa. In Wien gab ich den Leiter der italienischen Oper am Nationaltheater und natürlich den Hofkapellmeister. Beethoven, Schubert und Liszt haben von mir gelernt, und der Pariser Oper brachte ich regelmäßig die höchsten Gewinne ein. Mozart war zu Lebzeiten kein Konkurrent.

Natürlich war er der bessere, doch niemand merkte es. Van Gogh, der sein Ohr zurück hat und Tabletten bekommt, die keine Nebenwirkungen verursachen, sagt mir heute noch, dass er gerne mit mir getauscht hätte. Und selbst Ephraim Kishon scherzt: „Mir ist der momentane Erfolg wichtiger als der unsterbliche Ruhm. Ich möchte Salieri sein und nicht Mozart, noch lieber aber der Regisseur des Films Amadeus.“ – Das Publikum kaschiert seine Dummheit so gern im Nachhinein, anstatt auch nur einmal zuzugeben, dass es schlichtweg keine Genies erkennt. Mein Gott, nur sein Nachruhm war allgewaltig!

Doch langsam, der Reihe nach: Zwischen uns gab es keinen Streit. Wir arbeiteten in verschiedenen Genres: Während er in der Instrumentalmusik immer besser wurde, fabrizierte ich weiter Opern. Und ich schätzte seine Musik: In den elf Jahren seiner Wiener Zeit verschaffte ich ihm fünf gut bezahlte Auftritte bei den Adventskonzerten der Tonkünstlersozietät – so oft, wie sonst nur Herrn Haydn, und diesen, mesdames et messieurs, kannte ja schließlich die halbe Welt.
Eine Kantate haben wir beide zu zweit verfasst, und nur einmal gab es eine Differenz wegen einer Arie, wobei Herr Rosenberg, Oberdirektor des Hoftheaters, recht munter mitmischte. Keine Sorge – ich will sie nicht mit musikhistorischen Nebenschauplätzen langweilen, doch was die Medien aus mir gemacht haben, grenzt an Rufmord! Die Menschen sind Wölfe und zerfleischen nur allzu gerne – am liebsten aber schauen sie dabei zu … Nur die Leipziger allgemeine musikalische Zeitung stand mir bei, doch machte das Gerücht dadurch noch bekannter.

Puschkin war der erste, der mich verdächtigt hat. Ich wäre vor Neid verrückt geworden, schreibt er in einer seiner Kleinen Tragödien, ich hätte dem Meister Gift gegeben. Dummerweise habe ich in meinen wahnhaften letzten Tagen selber davon gefaselt; ein Zeichen geistiger Verwirrung besteht ja bekanntlich darin, die Meinung, die über dich kursiert, wirklich anzunehmen. – Dabei genoss ich den schönsten Lebenslauf eines Künstlers, den man sich vorstellen kann: zu Lebzeiten ein Star, nach dem Tod vergessen.
Nur manchmal, wenn ich alleine bin, denke ich heute darüber nach, wie es sich anfühlen mag, wie Mozart zu komponieren. Wie es ist, wenn einem die göttlichen Melodien in die Feder strömen. Es ist ja die größte Mär in der Welt der Kunst, dass Fleiß das Genie ausmacht. Es gibt handwerkliches Geschick, das ja, vielleicht Durchhaltevermögen und immer Zeit, die man braucht, um auch nur eine einzige gerade Notenzeile zu schreiben, doch vor allem diesen genialen Funken, dessen Fehlen mir allerdings nie geschadet hat. Mozart brauchte es so sehr, bewundert zu werden – und war darin mein Antipode: Ich war nicht göttlich, aber ich lebte so. –

Antonio Salieri, Text von Matthias Kröner
Antonio Salieri

Der berühmte jüdische Komponist Irving Berlin meinte vor kurzer Zeit, während wir, Zigarren rauchend, die Endausscheidungen von „Deutschland sucht den Superstar“ hoch über der Stratosphäre ansahen: „Wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander spielen sie Mozart.“ Wie Recht er hat, doch was nützt das alles, wenn man im Leben scheitert? Mozart war kein glücklicher Mensch: Bei ihm hatte ich immer dieses Gefühl, dass er keine Zeit hat. Er hastete von einer Komposition zur nächsten. Er wollte fertig werden, doch in der Kunst, mon dieu, kommt man nie ans Ziel.
Wie angenehm erscheinen mir da die schlichten Ausführungen eines Dieter Bohlen. „Ich glaube“, sagt der frauenverschleißende Millionär bei jedem Jubiläum des großen Genius, „wenn Mozart heute noch leben würde, würde er so was Ähnliches machen wie ich.“ Und ich dachte mir, ich wäre vielleicht ein Bohlen. – Sie zucken?! Sie finden es einen Verrat an der Kunst? Ich finde es einen Verrat am Leben, wenn man es sich immer schwerer macht, als es nötig ist.

Verleumdungen gab es nur von außen, weil es schicker ist, das Leben ein wenig dramatischer darzustellen, als es jemals sein kann. Sogar der Kaiser konnte uns beide leiden. –
In einem anderen, immer vergessenen Brief an Constanze schlägt Mozart sogar euphorische Töne an, die in ganz wenigen Büchern zu lesen sind: „Du kannst nicht glauben“, schreibt Amadeus, mein Kollege und Freund, über einen Besuch von meiner Geliebten und mir bei der Zauberflöte, „wie artig beide waren, wie sehr ihnen nicht nur meine Musik, sondern das Buch und alles zusammen gefiel. Sie sagten beide, das seie ein Operone, würdig bei der größten Festivität vor dem größten Monarchen aufzuführen, und sie würden sie gewiß sehr oft sehen, dann sie haben noch kein schöneres und angenehmeres Spektakel gesehen.“ Sind das Worte, die man über seine erbittertsten Feinde fällt?!

Wenn ich ihn heute ärgern will, dann erzähle ich, was Rubinstein über ihn gesagt hat: „Bei den Damen kommt man mit Chopin viel weiter als mit Mozart.“ Und seine Konter sind immer gut. „Minder Begabte“, gab er neulich zurück, und ich bin mir sicher, er meinte mich, „haben es meistens leichter. Es gelingt ihnen, alles aus ihrem Talent herauszuholen.“
Was soll ich sagen – die Realität verletzt mich nicht. Außerdem kenne ich seinen Humor, und ich kann ihn leiden, diesen pockengesichtigen, kleinen Gnom, der immer gefallen wollte, und sich noch heute an einen Flügel setzt und nur für sich selber spielt. Die Melodien verpuffen hier oben, wir haben keine Möglichkeit, sie zu halten. – – –

Nicht ich war es, der Mozart getötet hat. Es war sein Übermaß an Genie und das zu jeder Zeit so abartig miese Kunstverständnis der Lebenden.

Der Autor Matthias Kröner

1977 in Nürnberg geboren
Studium (M.A.) der Literaturwissenschaft, Buchwissenschaft und Geschichte
Seit 2007 als Schriftsteller, Journalist, Lyriker und Herausgeber in der Nähe von Lübeck

Diverse Veröffentlichungen, u. a. in mare, ZEIT Online, Geo Saison, ELTERN, Das Magazin, DAS GEDICHT, versnetze, Jahrbuch der Lyrik, ÖKOtest, ORF, NDR, rbb, Rowohlt und Reclam

Auszeichnungen für Prosa, Lyrik und Essayistik
Regelmäßige Aufträge fürs Feiertags-Feuilleton des Bayerischen Rundfunks (BR)

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